Donnerstag, 23. Januar 2014

Gutes Spielleiten, Spielstile abstimmen ... das ist doch alles nur die halbe Miete

Dieses mal brauche ich Rückmeldungen von allen Soziologen unter den Lesern. Denn nach kürzlicher Diskussion über Spannung und Langeweile am Spieltisch reift in mir ein Gedanke.

Es gibt zum Thema Spielleitung ein paar tolle Tipps und sogar komplette Produkte. Zum Beispiel "Gutes Spielleiten" von Robin Laws oder "Spielleiten" von Dominic Wäsch.
Man findet schnell halb zum Spaß und halb zur Information Einteilungen von Spielertypen oder Spielstilen.

Eines wird bei den Texten meiner Meinung nach oft vergessen: Die Gruppendynamik.

Die Zufriedenheit des Spielers ist nicht abhängig von seinem Stil und dem Handwerk des Meisters. Es ist das Zusammenspiel zwischen dem SL und allen Spielern untereinander.
Ich habe Gruppen erlebt, die besser funktionierten wenn ein einzelner Spieler fehlte, oder nur wenn sie komplett war. Das lag dann nicht an dem einzelnen Spieler.

Zunächst einmal möchte ich, dass der geschätzte Leser folgendes Diagramm auf sich wirken lässt. Denn um die Gruppe zu verstehen, müssen wir ja erstmal die einzelnen Gruppenmitglieder verstehen.



Hier sehen wir, einige Abhängigkeiten, die die Motivation beeinflussen.
Nicht nur die Fähigkeiten eines Charakters und wie der Spieler dessen Rolle in der Gruppe wahrnimmt haben Einfluss auf die Leistung des Charakter. Die Probenwahrscheinlichkeit hat direkten Einfluss auf die Motivation. Die Belohnungen bestimmen die Zufriedenheit und diese bestimmt den Wert, den der Spieler der Belohnung gibt. Diese wiederum bestimmt zukünftige Motivationen.
Daran kann man nicht nur das demotivierende Wirkung ständigen Würfelpechs ablesen. Man sieht auch, dass Leistung belohnt werden muss, damit die Zufriedenheit hergestellt werden kann.

Ein Beispiel: Ein Held wird als Geburtshelfer hinzugezogen. Die werdende Mutter ist dem Helden wohlbekannt und gerne steht er ihr bei. Es verläuft lang und schwierig. Obwohl der Held alle Fähigkeiten in die Waagschale wirft droht die Mutter zwischenzeitlich am Blutverlust zu sterben. Schließlich aber sind Mutter und Kind wohlauf. Sie verspricht ihr Kind als Dank nach dem Helden zu benennen.
Eine solche Szene kann um ein vielfaches wertvoller für den Spieler sein, als das besiegen den x-ten Schwarzmagiers und anschließender Plünderung seiner prall gefüllten Schatzkammer. Denn es lag eine persönlich Bindung vor, er ist Risiken eingegangen (Probenwürfe) und hat mitgefiebert. Er hat keinen Lohn erhalten, außer der Befriedigung etwas bewirkt zu haben (Überleben von Mutter und Kind) und eine liebevolle Erinnerung daran (die Namensgebung).

Damit im Hinterkopf schauen wir uns mal eine gängige Kategorisierung von Spielertypen an. Die Grau-Zonen zwischen den Typen, und dass jeder von uns mehr oder weniger jeder Kategorie zugeordnet werden kann behalten wir dabei natürlich auch im Blick.
Ich habe das hier nochmal abgeschrieben von dem gerade genannten Link.

Der Machtspieler (Power Gamer)

Der Machtspieler (Power Gamer) möchte seinen Charakter stärker, zäher, reicher machen, sowie die Attribute und Fähigkeiten steigern. Wie auch immer Erfolg im Regelsystem definiert sein mag – dieser Spieler will mehr davon. Er tendiert dazu, seinen Charakter als Abstraktum zu sehen, eine Ansammlung von Superkräften und darauf ausgerichtet, noch mehr Superkräfte zu erhalten. Er spielt sehr eng an den Regeln, wobei er speziell nach Lücken und Knackpunkten sucht, die er für sich möglichst effizient ausnutzt. Vom Spielleiter erwartet er die Möglichkeiten, hübsche neue Fähigkeiten oder Artefakte auf seinen Charakterbogen schreiben zu können.

Der Plätter (Butt-Kicker)

Der Plätter (Butt-Kicker) will im Spiel Dampf ablassen, indem er sich (ganz altmodisch) der Zufügung von Körperverletzung widmet. Er sucht sich gerne einfache, kampfbereite Charaktere aus, gleichgültig ob er durch sie im Spiel Macht oder Erfolg erlangen kann. Nach einem langen Tag im Büro oder in der Schule möchte er nur, dass sein Charakter die Gegner in Grund und Boden stampfen kann und damit wieder einmal beweisen, dass er allen Herausforderern gewachsen ist. Spielregeln sind ihm eventuell dabei dienlich, aus seinem Charakter eine optimale Kampfmaschine zu machen. Sie können ihm auch gleichgültig sein, solange er nur auf etwas einprügeln darf. Er erwartet vom Spielleiter jede Menge Gelegenheiten, die oben erwähnte Zerstörung anzurichten und sich überlegen zu fühlen.

Der Taktiker (Tactician)

Der Taktiker (Tactician) ist möglicherweise ein Militärexperte, der am liebsten Lösungswege durch komplexe, realistische Probleme sucht, gewöhnlich auf einem Schlachtfeld. Er möchte, dass die Regeln (und die Interpretation des Spielleiters von ihnen) die Realität, so wie er sie kennt, widerspiegeln. Wenigstens sollten die Regeln eine in sich konsistente und logische Welt darstellen, in der seine Entscheidungen der Hauptfaktor ist, der Niederlage oder Sieg herbeiführt. Vielleicht sieht er Charakterspiel als eine Ablenkung an und wird ungehalten, wenn andere Spielercharaktere Dinge tun, die ihren Persönlichkeiten entsprechen aber taktisch unklug sind. Um den Taktiker im Spiel zufrieden zu stellen, sollte man ihm anspruchsvolle und logische Hindernisse in den Weg stellen, die sein Charakter überwinden muss.

Der Spezialist (Specialist)

Der Spezialist (Specialist) bevorzugt eine bestimmte Charakterklasse, die er bei jeder Kampagne und in jedem Hintergrund spielt. Der am häufigsten gewählte Charaktertyp der Spezialisten ist der Ninja. Andere mögen Ritter, Katzenmenschen, Störenfriede, fliegende Charaktere oder sehnsüchtige Druidenmädchen, die viel Zeit in verwunschenen Lichtungen in Gesellschaft von Elfen und Einhörnern verbringen. Der Spezialist möchte, daß die Spielregeln seine Lieblingscharakterklasse unterstützen, ansonsten sind sie ihm relativ gleichgültig. Ihn kann man als Spielleiter damit glücklich machen, indem man Szenen ins Spiel einbaut, in denen der Charakter die coolen Dinge tun kann, für die dieser Archetyp bekannt ist.

Der Schauspieler (Method Actor)

Für den Schauspieler (Method Actor) ist Rollenspiel die Möglichkeit, mehr über sich selbst zu erfahren. Er identifiziert sich stark mit dem Charakter den er spielt und kann durchaus der Ansicht sein, daß es wichtig für seine kreative Entfaltung ist, extrem unterschiedliche Persönlichkeiten darzustellen. Die Entscheidungen und Handlungen seines Charakters basieren auf dessen Psychologie und daher wird der Schauspieler sich dagegen wehren, diese Entscheidungen zu ändern, nur weil sie gegen Spielregeln verstoßen oder nicht zum Erreichen des Gruppenziels beitragen. Regeln sieht der Schauspieler bestenfalls als notwendiges Übel und bevorzugt Spielabende, bei denen gar nicht gewürfelt wird. Den Schauspieler unterhält man als Spielleiter am besten, indem man ihn in Situationen bringt, die seine Charakterzüge auf die Probe stellen oder vertiefen. [Anmerkung zum Begriff ‚Method Actor’: Er wurde in der Schauspielkunst von Konstantin Stanislawski (1863-1938) geprägt. Bei der damals definierten Technik steht die Rollenarbeit und –analyse im Mittelpunkt. Der Schauspieler studiert das Umfeld, die Biographie und das Innenleben der Figur, um dem Spiel Sinn, Folgerichtigkeit oder Widersprüchlichkeit zu verleihen. Dabei gibt es zwei Aspekte: der Prozess des Erlebens (Innen) und des Darstellens (Außen).]

Der Geschichtenerzähler (Storyteller)

Der Geschichtenerzähler (Storyteller) ist wie der Schauspieler mehr am Rollenspiel interessiert und weniger an Attributen und Erfahrungspunkten. Allerdings will er lieber Teil einer Geschichte sein, die sich eher wie ein Buch oder Film anfühlt und weniger mit einer strikten Identifikation mit seinem Charakter zu tun hat. Er ist sofort kompromissbereit, um die Geschichte voran zu treiben und kann sich leicht langweilen, wenn das Spiel aufgrund einer längeren Planungsphase stagniert. Ihm bereitet es Vergnügen, wenn der Spielleiter neue Plotstränge entwickelt und die Handlung weiter voran bringt. So wie es ein guter Romanautor oder Filmregisseur tun würde.

Der Gelegenheitsspieler (Casual Gamer)


Die Gelegenheitsspieler (Casual Gamer) werden häufig bei dieser Art Diskussionen vergessen, obwohl sie in fast jeder Spielrunde zu finden sind. Sie wollen selbst in kleinen Gruppen möglichst nicht im Rampenlicht stehen und sind meistens nur deswegen dabei, weil die übrigen Gruppenmitglieder sich für diese Freizeitaktivität entschieden haben. Obwohl sie im Spiel schwer zu fassen sind, können sie lebensnotwendig für das Weiterbestehen der Spielrunde sein. Im Spiel schließen sie die Lücken der Anforderungen an Fähigkeiten, die von den Charakteren verlangt werden und nur von einer größeren Anzahl Charaktertypen oder –klassen abgedeckt werden können. Eben weil sie nur aus sozialen Gründen dabei sind, erfüllen sie eine wichtige Funktion in der Gruppendynamik. Häufig sind sie die freundlichen, ausgleichenden Menschen, die die mehr bestimmenden Persönlichkeiten davon abhalten, sich gegenseitig zu bekriegen (innerhalb und außerhalb des Spiels). Der wichtigste Aspekt beim Gelegenheitsspieler ist, dass er unbedingt im Hintergrund bleiben will. Er möchte keine Regeln lernen oder ein Plotidee für seinen Charakter entwickeln oder bei einer intensiven Strategieplanung dabei sein. Als Spielleiter glaubst Du vielleicht, dass es schlimm ist, wenn er die meiste Zeit daneben sitzt und in deinen neuesten Comics herumblättert, aber – hey, das will er nun mal so.Auf keinen Fall sollte der Gelegenheitsspieler dazu gezwungen werden, sich tiefgründiger mit dem Spiel zu beschäftigen, als er dazu bereit ist. (Natürlich sollte sich ein Spielleiter schon fragen, ob er etwas falsch macht, wenn jeder in der Spielrunde nur da sitzt und Comics liest.)

Der Einfachheit halber kann das jeder für sich in einem Test selbst bestimmen, um ein besseres Gefühl für sich und die einzelnen Typen zu bekommen.
Und natürlich zeige ich dem geneigten Leser auch mein eigenes Ergebnis:

Als Spielleiter muss ich also meine Spieler soweit einschätzen können, dass ich ihren Spielstil grundlegend verstehe und auch bediene. Darüberhinaus achte ich noch auf die Regeln der Motivation wie oben beschrieben. Soweit, so klar.

Dann hören die Ratgeber für gewöhnlich auf und lassen einen mit der dritten und letzten Sache alleine: Der Gruppendynamik.
Dazu ein kleiner eigener Beitrag zur Visualisierung von mir: "Die drei Säulen des Spielspaßes."

Nicht hübsch, aber hoffentlich lesbar.
Ich bin der Meinung, dass der Spielspaß der Spieler durch die 3 Säulen Interaktion, Motivation und Präsentation gebildet wird. Und denen kann man nicht einfach ein paar Werkzeuge zuordnen sondern sie haben Unterpunkte, die gleichzeitig auch auf eine andere Säule Einfluss nehmen.
Zur Erklärung hier alle Unterpunkte im Uhrzeigersinn im Überblick.


  • Zusammenspiel
    • Qualität und Quantität des Spiels zwischen den Charakteren
  • Charakterspiel
    • Das Ausspielen des eigenen Charakters. Darstellung seiner Vor- und Nachteile. Aber auch der persönliche Einsatz und die Nutzung seiner Talente und Fertigkeiten.
  • Erfolg
    • Erfolgserlebnisse, die den Spielern gegönnt werden. Die Bewertung obliegt allerdings subjektiv den einzelnen Spielern, je nach Leistung, Erschwernissen und Belohnung.
  • Konzentration
    • Spieler die sich nicht auf das Spiel konzentrieren können, werden das Spiel nicht ausschöpfen können. Ablenkungen wirken sich negativ auf. Eine fesselnde Spielsituation kann sie fördern.
  • Dramaturgie
    • Eine gute Geschichte ist vor allem eins: Spannend. Spannungsbögen müssen aufgebaut und im entscheidenden Moment entladen werden. 
  • Atmosphäre
    • Musik und Kerzenschein können mitunter förderlich, ablenkendes Gequassel oder unpassende Wortwahl (Horror-Abenteuer: "Und da denkst Du an nichts böses und Schwupps steht da so ein schlurfender Zombie mit Glubschaugen vor Dir und bekundet stöhnend sein Interesse Dein Hirn zu schlürfen.) können sie in Sekundenbruchteilen abtöten.
  • Erzählstil
    • Abseits der Spannungsbögen gibt es vielfältige Möglichkeiten die Geschichte zu erzählen. Dabei gibt Vorlieben je nach Region und auch Typ der Geschichte. 
  • Anspielbarkeit
    • Zur lebendigen Darstellung der Spielwelt, müssen nicht nur die wichtigen NSCs Rede und Antwort stehen können, sondern bei Bedarf auch einzelne, beliebig erscheinende Bürger einer Stadt ein Gesicht und eine Stimme erhalten. Im Gänsestall müssen auch Gänse schnattern.
  • Spielangebot
    • Die Spieler im Sandkasten des Abenteuers allein zu lassen ist nicht genug. Die Spielwelt reagiert nicht auf die Handlungen der Charaktere. Sie gehen auch offen auf sie zu und projizieren ihre Bedürfnisse von sich aus auf die Helden. Nicht nur der Plot kommt ggf. zu den Spielern sondern auch die Nebenschauplätze eröffnen sich ihnen.

Vieles davon ist dem erfahrenen Leser nicht unbekannt. Aber ihm sei nahegelegt sich über den erstgenannten Punkt mal Gedanken zu machen und wie dessen Auswirkung auf all die anderen Punkte aussehen kann.
Was für Erfahrungen hast du da schon gemacht? Welche Meinung hast Du zu meiner abwegigen Theorie?
Darüber sollten wir reden.




4 Kommentare:

  1. Schöner Beitrag.
    Muss ich noch etwas drüber nachdenken.

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  2. Mir fehlt ein bisschen die Herleitung deines Modells. So kann man es schwer beurteilen. Ich bin kein Soziologe, der soweit klingt es zumindest nicht verkehrt. Aber ich frage mich auch, wie es mich weiter bringt, denn genau genommen sind das Dinge, die zumindest unterbewusst, wenn nicht gar bewusst, eine Rolle spielen.

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    1. @Jan
      Ich empfehle zunächst die Fortsetzung dieses Beitrags:
      http://rsp-dialog.blogspot.de/2014/01/gutes-spielleiten-spielstile-abstimmen_26.html
      Abseits davon hast Du recht. Es steht noch viel zu wenig über das "Modell" im Text. Ich werde dazu bald noch mehr veröffentlichen. Danke für den Hinweis.

      @rpgnosis
      Auf Deinen Kommentar bin ich sowieso schon gespannt. Aber vielleicht magst Du dann noch diese Serie abwarten. Ich denke, ich habe noch was in Petto zu dem Thema.

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    2. Ja, die Folgeartikel packen da mehr drauf, aber die Herleitung bleibt offen.

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